Borderline bemerken

Borderline zu bemerken ist, glaube ich, gar nicht so einfach. Zumindest habe ich es nicht bemerkt und meine Mitmenschen auch nicht wirklich. Jahrelang blieb es bei mir unentdeckt. Wie kann es sein, dass man es nicht merkt, obwohl es doch eigentlich eine so auffällige Krankheit ist?

Ich weiß diesmal gar nicht so genau, wo ich anfangen soll. Die Symptome von Borderline kennt ihr ja bereits. Ihr wisst auch, dass bei mir alles im Alter von 5 Jahren anfing. Mit 5 Jahren hatte ich sicherlich noch kein Borderline, aber langsam fing meine Psyche an, Wunden zu bekommen, die nie geflickt worden. Mittlerweile bin ich 20 Jahre alt und weiß endlich, dass ich krank bin.

Wie ich mich sah

Ich kann mich erst seit meinem 6ten Lebensjahr stückchenweise an mein Leben erinnern. Alles was davor mit mir war, weiß ich nur durch Bilder und Erzählungen. Vor meiner Erinnerung war ich wohl ein sehr lebensfrohes und aufgewecktes Kind. Das war ich allerdings auch in meinen Erinnerungen. Ich habe es zumindest immer probiert. Ich war immer sehr hilfsbereit und habe dadurch nie an mich gedacht. Wenn in der Grundschule ein Kind hinfiel, hab ich alles stehen und liegen gelassen und hab diesem Kind geholfen. Ich helfe immer, wenn ich kann und ich mache dabei keinen Unterschied, ob ich diese Person mag oder nicht mag und auch nicht, ob ich diese Person kenne oder nicht. Das ist für mich immer selbstverständlich gewesen. Ich kenne es nicht anders. Die meisten wissen aber, dass ich dieses Helfersyndrom habe und dadurch werde ich schnell ausgenutzt. In der heutigen Gesellschaft nimmt man mehr, als man gibt.

Mir war recht früh klar, dass mit mir was nicht stimmt. Da ich aber immer lachen konnte, dachte ich, dass es wohl nur eine Phase sei und es wieder weggeht. Also dachte ich, dass ich gesund sei. Wenn ich das bei anderen angesprochen habe, hieß es auch immer nur, dass es an der Pubertät liegt und ich mir keinen Kopf machen soll. Das habe ich dann auch irgendwann geglaubt. Dann kam der erste Suizidversuch mit 13 Jahren. Den habe ich nicht wirklich ernst genommen. Ich war deprimiert und nachdem ich mit einer Schere auf meinem Arm herumgekratzt habe (damals hab ich mich noch nicht wirklich tief geritzt, sondern eher gekratzt), wollte ich wissen, wie das so ist. Zum Glück habe ich nicht wirklich nachgedacht und der Versuch ist gescheitert.

Danach hab ich aber immer noch nicht wirklich verstanden, dass ich krank bin und Hilfe brauche. Es war für mich eine Erfahrung, die ich sammeln wollte. Mit der Zeit wurde aus dem kratzen eher ein Ritzen und mit 15 Jahren habe ich es nochmal mit dem Suizid probiert, aber zu diesem Zeitpunkt war ich schon so weit, dass ich es nicht kontrollieren konnte. Ich bekam aus dem nichts einen Anfall und hab die Kontrolle über mich fast komplett verloren. Als ich aber noch etwas ansprechbar war, schrieb ich zum Glück einen Freund an und schrieb ihm, dass ich gleich wohl was Blödes machen werde. Daraufhin stieg er sofort ins Auto und fuhr zu mir. Damit hat er mir mein Leben gerettet. Das werde ich auch nie wieder gutmachen können. Ich bin ihm dafür unendlich dankbar.

Aber selbst danach war es mir immer noch nicht klar. Ich weiß nicht, ob ich wirklich so dumm war oder ob ich es einfach nicht einsehen wollte. Mir wurde zwar immer mehr klar, dass was mit mir nicht stimmt, aber ich wusste nicht was. Ich kam auch schon auf den Gedanken, dass ich eventuell depressiv sein könnte. Dann las ich mir die Symptome durch und es passten ein paar zu mir. Ich habe es aber dann immer noch nicht eingesehen. Für mich war das alles ganz normal und ich dachte, dass davon doch jeder ein paar Symptome hat.

Dann hatte ich mit einem Freund geschrieben, welcher Depressionen hat. Es war alles gut und plötzlich rastete ich völlig aus und hab maßlos übertrieben. Keine Ahnung, wieso ich das getan habe. Ich hatte mich dann wieder beruhigt und dann fragte er mich, wieso ich jetzt diesen Ausraster hatte. Das konnte ich ihm allerdings nicht beantworten, weil ich es selber nicht wusste. Nachdem wir noch etwas geschrieben haben, fragte er mich, ob ich vielleicht Depressionen haben könnte. Das verneinte ich sofort. Er hat allerdings nicht locker gelassen und nachdem wir irgendwann am Abend uns eine gute Nacht gewünscht haben, konnte ich nicht einschlafen. In der Nacht wurde mir dann klar, dass ich wohl doch krank bin.

Ohne das Gespräch mit diesem besagten Freund, würde ich es heute also vielleicht immer noch nicht wissen. Ich hätte es wohl immer noch nicht bemerkt und würde denken, dass das alles ganz normal ist. Ich habe mich vorher einfach nie so wirklich mit mir selber beschäftigt geschweige denn mit irgendwelchen psychischen Krankheiten.

Wie andere mich wahrscheinlich sahen

Für meine Mitmenschen war es wohl schwer, das zu erkennen, weil ich mich immer verstellt habe. Ich war immer die, die mein Gegenüber gerade brauchte. Zudem war ich immer sehr lebensfroh. Ich konnte immer lächeln und lachen. Meistens war es zwar gespielt, aber man hat es nicht wirklich gemerkt. Da ich immer zwanghaft glücklich war, war es irgendwann sogar so schlimm, dass ich sogar gelächelt habe, obwohl ich alleine war. Ich habe mir immer selber was vorgespielt. Dadurch konnte ich es recht glaubwürdig rüberbringen.

Ich habe es zwar ab und zu bei meinen Mitmenschen angesprochen, dass ich denke, dass irgendwas nicht stimmt, aber ich war halt in der Pubertät. In der Pubertät sind Stimmungsschwankungen was ganz normales. Enttäuschter bin ich von den Ärzten, mit denen ich darüber gesprochen habe. Nicht mal die haben es herausgefunden. Die haben auch immer bloß gesagt, dass es an der Pubertät liegt. Und weil ich selber nicht geglaubt habe, dass ich krank bin, habe ich selten den Anschein gemacht, dass ich Hilfe brauche. Ich bin zudem auch eine, die sehr schlecht darin ist, um Hilfe zu bitten. Ich habe immer Angst, dass ich jemandem zur Last fallen könnte und das möchte ich nicht. Deswegen behalte ich vieles für mich. Zumindest habe ich es immer gemacht. Langsam lerne ich, dass man auch mal nach Hilfe bitten muss. Wie man so schön sagt: Nur sprechenden Leuten kann geholfen werden.

Immer wenn ich neue Narben bekommen habe, habe ich mir irgendwelche Ausreden einfallen lassen, wie zum Beispiel, dass ich in Dornen gefallen bin oder so. Und zu einem Arzt habe ich später gesagt, dass ich krank bin, aber schon in Behandlung bin. Was ich ja aber noch nicht bin. Ja ich weiß, dass es dumm war. Zu dem Zeitpunkt war mir aber schon klar, dass ich krank bin. Ich wusste bloß nicht, wie krank ich wirklich bin und wie akut es ist, dass ich Hilfe brauche.

Von den Suizidversuchen wussten auch nicht viele. Bloß eine Hand voll Leute, denen ich wirklich vertraue. Es ist halt oft schwierig, Leuten etwas anzumerken, wenn sie alles überspielen. Zumindest ist es für die meisten Menschen sehr schwierig. Es gibt sehr wenige Leute, denen man etwas nicht vorspielen kann. Es gibt Leute, die merken, dass einem schlecht geht, obwohl man alles probiert, dass diese Person es nicht merkt. In meiner Schulzeit, hat nur eine Person gesehen, dass alles nur gespielt war. Das war ein Lehrer. Er sprach mich eines Tages auch an und sprach mit mir darüber und er machte auch gleich mit mir zusammen einen Termin bei den Schulpsychologen. Das brachte mir allerdings nichts, weil ich zu dem Zeitpunkt noch nicht über mich, mein Leben und meine Probleme reden konnte. Deswegen haben wir es schnell wieder beendet.

Als ich mir dann sicher war, dass ich krank bin und vor allem als ich dann die Borderline Diagnose bekam, fing ich an, meinen Mitmenschen davon zu erzählen. Die Reaktionen waren Interessant. Manche behaupteten danach immer noch, dass es quatsch, sei. Andere waren schockiert und wussten nicht, wie sie damit umgehen sollen. Wieder andere, waren zwar schockiert, aber haben es sozusagen einfach so hingenommen. Sie kennen mich ja schon seit Jahren und sie mögen mich so, wie ich bin. Für die hat sich im Prinzip nichts geändert. Bei manchen hatte ich aber wirklich Angst, denen das zu erzählen, weil ich Angst hatte, dadurch verstoßen zu werden.

Mittlerweile gehe ich damit aber sehr offen um (wie man vielleicht sieht) und auch wenn ich neue Leute kennenlerne, sage ich denen recht schnell, dass ich Borderlinerin bin. So können sie immer noch einen Rückzieher machen ohne, dass es mich zu sehr verletzt. Zudem wissen sie sofort, worauf sie sich einlassen.

Mein Fazit

Eine psychische Krankheit zu bemerken, ist nicht immer ganz einfach. Weder für die Betroffenen noch für deren Mitmenschen. Es gibt natürlich aber auch immer Unterschiede. Manche bemerken es sofort, andere nie. Hier habe ich euch jetzt bloß meine Story geschildert. Ich nehme es auch keinem übel, dass er oder sie es bei mir nicht bemerkt hat. Schließlich habe ich es selber nicht bemerkt. Oft werde ich gefragt, wie es denn sein kann, dass es niemand bemerkt hat. Diese Frage konnte ich hier hoffentlich beantworten. Es ist nicht jeder ein Psychologe und manchmal kann man Emotionen wirklich sehr gut schauspielern. Es ist also nicht auszuschließen, das man sowas nicht bemerkt. Fühlt euch also nicht schlecht, wenn ihr eine Betroffene Person kennt und es nie bemerkt habt. Es passiert den besten. Und zudem hilft es den Betroffenen nicht, wenn ihr euch dafür schlecht fühlt. Es gibt dafür schließlich keinen Grund.

Tanja Verfasst von:

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