Festival besuchen als Borderliner

Letztes Wochenende war ich zum ersten Mal auf einem Festival. Die Umstände waren nicht die besten für mich, aber das zeigte wieder einmal ganz klar den Borderliner in mir. Was ich damit meine und wie ich das Festival überstanden habe, möchte ich euch natürlich nicht vorenthalten.

Vor dem Festival

Mein psychischer Gesundheitszustand war nicht gerade der beste, als ich zum Festival ja gesagt habe und auch nicht, als es losging zum Festival. Ich war sehr instabil und hatte bloß ein paar Tage, bevor es losging, einen Anfall, den ich nicht kontrollieren konnte.

Als ich gefragt wurde, ob ich mit zum Festival möchte, habe ich recht schnell zugesagt. Ich wollte schon immer auf ein Festival und ich habe öfter gehört, dass ein Festival nichts für mich wäre. Ich hatte endlich die Chance bekommen, allen zu beweisen, dass ich das wohl schaffe. Und siehe da ich lebe und mir geht es soweit gut. Ich bin zwar erkältet, aber das kam nicht durch das Festival.

An den letzten Tagen vor dem Festival sind bei mir ein paar Sicherungen durchgebrannt. Mir ging es gut, aber ich habe mich selber überfordert. Ich habe mir um alles.. Ja wirklich um ALLES Gedanken gemacht. Was könnte alles passieren? Haben wir alles, was wir brauchen? Was ist wenn..? Oder wenn..? Ich habe meine Taschen mindestens 10 Mal geplant und immer mal wieder gepackt und dann gemerkt, dass ich zu viel habe und dann habe ich alles wieder umgeräumt. Sogar die Verpackungen habe ich entfernt, um Platz zu sparen und was weiß ich nicht alles. Ich bin so eine, die in so einem Fall nach dem Motto lebt: „Lieber haben und nicht brauchen, anstatt brauchen und nicht haben.“. Das hat man gemerkt. Ich hatte eigentlich alles mit, bis auf die Sachen, um die ich mich nicht kümmern sollte.

Tag für Tag wurde ich immer aufgeregter. Ich habe mich immer gefragt, ob ich wirklich alles dabei habe. Und was alles passieren könnte. Ich bin jegliches Szenario in meinem Kopf durchgegangen. Ich konnte kaum schlafen und den Kopf abschalten hat auch nicht wirklich funktioniert. Es war aber eine schöne Aufregung. Ich habe es auch aufgegeben mitzuzählen, wie oft ich meine Klinge eingepackt habe und wieder ausgepackt habe. Im Endeffekt habe ich sie aber zu Hause gelassen. Ich hatte zu große Angst, dass ich schwach werde und ich wollte damit niemandem zur Last fallen.

Auf zum Festival

Es ist soweit. Es ist der Tag an dem wir losfahren. Jetzt gibt es kein zurück mehr. Worauf habe ich mich da bloß eingelassen? Was mache ich, wenn ich einen Anfall habe? Ruhe auf einem Festival? Unmöglich.. Na ja jetzt bleibt mir keine andere Wahl mehr. „Packe ich die Klinge doch noch ein? Nein, die bleibt da wo sie ist!“ das ging mir an dem Tag ein paar mal durch den Kopf.

Dann war es wirklich soweit. Es klingelte an der Tür. Jetzt alle Sachen packen und los. „Habe ich noch was vergessen? Habe ich wirklich alles? Licht aus, Fenster zu, Steckerleiste aus. Ja ich müsste alles haben. Los geht’s!“ das waren die letzten Gedanken, bevor ich die Wohnungstür hinter mir zugezogen habe. Dann haben wir alles im Auto verstaut und es ging wirklich los. Während der Autofahrt war es eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Ich wusste nicht, wohin damit. Wir haben uns auf dem Weg auch noch zweimal verfahren. Dadurch fuhren wir noch länger und die Achterbahn fuhr immer schneller und ich wurde immer ungeduldiger.

Endlich angekommen

Juhuu endlich da! Schnell das Ticket zeigen und das erste Festivalband an mein Handgelenk bekommen. Ich war so aufgeregt. Ich weiß gar nicht wie oft ich dem Freund, der mich mitgeschleppt hat, das Bändchen gezeigt habe. Und das, obwohl er genau dasselbe hat. Aber ich fand meins schöner und es ist mein erstes. Ich war komplett überfordert und wusste nicht mehr, wohin mit mir. Es war ein komisches Gefühl, aber gleichzeitig auch ein unbeschreiblich schönes Gefühl.

Als wir dann die Stelle gefunden, wo der Rest von uns schon deren Camp aufgebaut hat, haben wir uns da was gesucht und haben unsere Zelte aufgebaut. Als wir nach Ewigkeiten endlich fertig waren, blieben wir noch kurz im Camp, um erstmal richtig anzukommen und vernünftig anzustoßen. Die Erleichterung machte sich bei mir breit. Alles ist aufgebaut und wir sind heil angekommen. Dann sind wir losgegangen ins Infield vom Festival. Ich war total aufgeregt und wusste gar nicht, wo ich hingucken sollte. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, welches Jahre lang im Keller eingesperrt war und jetzt zum ersten Mal so richtig die Welt erblicken durfte.

Übrigens waren wir 6 Leute nach Planung und ich kannte bloß einen so ein bisschen. Da war das risikoreiche Verhalten eines Borderliners stark zu merken. Und das Handeln ohne an die Konsequenzen zu denken. Es ist zwar alles gut gegangen, aber es hätte auch ganz anders laufen können. Macht das also bitte nicht nach.

Anfangs war ich einfach nur fasziniert, wie schön alles war. Dann kamen wir bei der Mainstage an und die Musik war so laut, aber es war so gut. Dann sind wir erstmal weitergelaufen und gingen zur anderen Stage. Ich war komplett beeindruckt. Gleichzeitig war ich aber auch komplett überfordert. Danach gingen wir wieder zur Mainstage und ein Kollege hatte mich mit in die Menschenmenge genommen, um zu tanzen.

Es war übrigens ein Goa Festival. Ich höre normalerweise kein Goa. War also auch Neuland für mich.

Dann stand ich also da. Überall um mich herum waren fremde Menschen und ich habe die Musik zuvor noch nie gehört. Ich möchte mich ja auch nicht blamieren. Ich fing dann an, mich immer nach links und rechts zu bewegen. Immer schön im Takt und am besten nicht zu verklemmt aussehen. Gleichzeitig habe ich mich immer etwas panisch umgeguckt. Ich habe mich anfangs wirklich sehr unwohl gefühlt. Mit der Zeit ging es aber. Fremde Menschenmengen sind einfach nicht so meins. Dann ging der Tag zu Ende.

Die nächsten zwei Tage

Am nächsten Morgen, war ich immer noch sehr angespannt, aber dann habe ich auch die restlichen drei endlich kennengelernt. Alle sehr sympathisch und die drei hatten ihr Camp direkt neben einem anderen Camp, bei dem sie sich immer aufgehalten haben. Die waren auch sehr sympathisch. Später sind wir dann alle zusammen wieder zu den Stages gegangen und haben es einfach genossen.

Wir hatten uns abends etwas aus den Augen verloren. Ein Kollege und ich fingen dann an, zwei Leute zu suchen. Als wir sie gefunden haben, haben wir gesehen, dass die zwei Leuten gerade am reden waren und ich ging wieder. Ich lief dann alleine etwas rum und habe mich mal etwas genauer umgeguckt. Alles ganz in Ruhe. Als ich dann wieder bei der Mainstage angekommen bin, kam ein Anfall sehr stark durch.

Ich musste also schnell handeln. Ich wusste nicht, wo alle sind, aber ich hatte eine Vermutung, wo jemand sein könnte. Da bin ich hingegangen und sah ihn auch da sitzen. Ich hatte bloß schnell meine Sachen abgelegt und bin dann einfach in die Menschenmenge rein. Fragt mich nicht, wieso ich das gemacht habe. Irgendwas sagte mir, dass ich das tun sollte. Ich bin also mitten rein und fing an zu tanzen. Anfangs war es sehr komisch, aber ich wurde schnell lockerer und habe mir hier und da ein paar Schritte abgeguckt.

Mit der Zeit hatte ich auch nicht mehr den Takt im Kopf, sondern im Körper. Es passierte alles ganz von alleine. Ich tanzte und lächelte und habe es tatsächlich genossen. Ich fühlte mich so frei. Und das, obwohl ich zwischen den ganzen Fremden stand. Das war mir in dem Moment irgendwie egal. Ich kann es jedem empfehlen, der mal die Chance dazu hat, einfach hineinzugehen und zu tanzen. Schon lange habe ich mich nicht mehr so befreit gefühlt. Ich hatte fast das Gefühl, wirklich endlich mal wieder glücklich zu sein. Das Gefühl war mir so nahe wie lange nicht mehr. Ich konnte es fast spüren. Es ist einfach unbeschreiblich. Man muss es selber erleben.

Später haben wir dann alle zusammen getanzt und mir wurden noch ein paar Tanzmoves beigebracht, bis es einen DJ Wechsel gab. Das haben wir genutzt, um nochmal eben ins Camp zu gehen. Danach sind wir alle wieder losgegangen. Und natürlich wieder mitten rein. Allerdings hatten wir uns alle etwas verteilt. Es gab zwei Gruppen, die getanzt haben und zwei Leute blieben stehen und haben deswegen nicht mehr zu uns gefunden. Und dann gab es noch mich und einen aus dem anderen Camp, den ich erst am selben Tag kennengelernt habe. Wir standen also da und dann fingen wir irgendwie anzureden. Es war etwas schwierig, sich bei der Lautstärke zu unterhalten, aber es war wirklich eine schöne Unterhaltung. Später bin ich dann mit einer tanzenden Gruppe wieder zurück ins Camp gegangen, weil ich sowieso schon sehr müde war. Damit war der Tag dann auch schon rum.

Am letzten Tag war alles dann sehr entspannt. Ich bin auch schon viel ruhiger geworden und ich habe mich etwas an das unbeschreibliche Feeling gewöhnt. Jetzt weiß ich, was alle immer meinte, dass man ein Festival nicht beschreiben kann. Man muss es einfach erleben. Abends haben wir dann alles zusammengepackt und sind wieder nach Hause gefahren und alle sind heil wieder bei sich angekommen.

Mein Fazit

Für mich bestand das Festival eigentlich nur aus Hindernissen, Überwindungen, Problemen und Ängsten. Trotzdem habe ich es geschafft. Jedem Hindernis bin ich ausgewichen. Ich habe mich mehrfach erfolgreich überwunden. Probleme haben wir alle gelöst. Und den Ängsten habe ich mich gestellt. Es war ein sehr anstrengendes Wochenende und vor allem psychisch anstrengend. Ich würde das Wochenende aber für nichts auf der Welt wieder hergeben. Es hat mich so viel stärker gemacht und ich habe so unglaublich viel daraus gelernt. Ich kann es wirklich jedem empfehlen.

Obwohl ein Festival, einem Borderliner echt viel abverlangen kann, ist es möglich, es zu schaffen und es auch noch zu genießen. Man muss sich seinen Ängsten bloß stellen. Manchmal muss man mit dem Feuer spielen, um das zu sehen, was sich hinter dem Feuer versteckt. Ich habe den Schritt gewagt und ich bin stolz darauf. Was haltet ihr von Festivals? Wart ihr schonmal auf einem? Lasst es mich gerne wissen und teilt eure Meinung.

 

Das Foto für diesen Beitrag habe ich freundlicherweise von „Luftbildfotografie Guido Kunze“ zur Verfügung gestellt bekommen. Vielen Dank.

Tanja Verfasst von:

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